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Asyl- und Migrationspolitik

21. Dezember 2023

Asyl- und Migrationspolitik

Ein anderes wichtiges europapolitisches Thema ist die Migrations- und Asylpolitik. Die EU Staaten und das Europäische Parlament haben sich gerade nach jahrelangen Verhandlungen auf neue Regeln für Asylverfahren geeinigt.[1] Ein Kernbestandteil davon ist, dass der Asylanspruch von Personen aus Ländern mit einer geringen Anerkennungsquote künftig im Schnellverfahren in sicheren Drittstaaten außerhalb der EU-Außengrenzen geprüft werden soll. Die rechten Fraktionen im EU-Parlament ID und ECR hatten gewollt, dass für alle Asylsuchenden das neue Verfahren gilt, aber das war abgelehnt worden.

Warum hat die grundsätzliche Neuregelung der Asylverfahren so große Bedeutung für Deutschland? Nun, weil Deutschland komplett von EU Ländern umgeben ist. Der Artikel 16 Grundgesetz, der bisher für die deutsche Vorgehensweise beim Thema Asylanspruchsprüfung – und für die große Zahl von faktischen Einwanderungen über den Artikel 16 GG – relevant war, bleibt natürlich bestehen. Aber man stelle sich vor, Hessen (also ein komplett von anderen Bundesländern umgebenes deutsches Bundesland) würde eine sehr weitreichende Asylregelung haben, während Deutschland beginnen würde, eine restriktivere Asylregelung zu praktizieren. Es würden weniger Asylsuchende als vorher nach Hessen kommen können, weil die deutsche Grenzpolitik zählen würde, nicht die hessische. Und so ist es eben auch im Verhältnis von Deutschland und Europa: wenn die Asylsuchenden schon an den EU-Außengrenzen abgehalten werden, dann sinken auch die Asylgesuche vor deutschen Gerichten.

Wichtig ist, dass Asylverfahren außerhalb der EU unter Einhaltung humanitärer Standards und auf der Basis internationalen Rechts durchgeführt würden. Das wird der Fall sein, auch wenn sie nicht 1:1 so durchgeführt werden, wie wir es in Deutschland tun. Denn es gibt eben kein Pendant des deutschen Artikel 16 GG im EU-Recht, daher dürfte der europäische Asylkompromiss in der Praxis gerade für das Mitgliedsland Deutschland sehr viel verändern.


Die Abbildung unten zeigt, dass ein Großteil der Menschen, die in der EU Asyl suchen, in den letzten 10 Jahren von Deutschland aufgenommen wurde (die Grafik zeigt alle Asyl-Erstanträge auf Monatsbasis, aus allen Herkunftsländern, nicht nur denen mit geringer Anerkennungsquote).

Die Jahreszahlen auf EU-Ebene lauten: 259.400 Anträge (2010), 309.045 (2011), 335.285 (2012), 431.100 (2013), 626.970 (2014), 1.322.850 (2015), 1.260.930 (2016), 712.235 (2017), 664.405 (2017), 744.810 (2018), 474.395 (2019), 632.405 (2020), 965.665 (2021). Die Anerkennungsquote liegt im mehrjährigen Durchschnitt bei rund 50 Prozent.



Das "Asylrecht für politisch Verfolgte" darf nicht mehr zweckentfremdet werden

Das Recht, "Asyl vor Verfolgung zu suchen und zu genießen" (Art. 14 UN Menschenrechtserklärung) setzt immer einen Antrag voraus, wodurch es sich von klassischen Menschenrechten unterscheidet. Wer in seinem Heimatland aus den anerkannten Asylgründen verfolgt wird, der sollte Schutz in der EU finden können. Wer das nicht ist, der sollte nicht vorgeben, in seinem Heimatland verfolgt zu werden. Politische Verfolgte haben keinen Grund, sich einem fairen, ergebnisoffenen Asylverfahren zu entziehen, indem sie illegal die Grenze zur EU übertreten. (Im Jahr 2023 wurden 380.000 irreguläre Grenzübertritte verzeichnet, die höchste Zahl seit 2016.) Das Recht der politisch Verfolgten (=Asylrecht) wird seit Jahrzehnten für Masseneinwanderung zweckentfremdet. Das mag aus der Perspektive der Flüchtenden nachvollziehbar sein, aber dafür ist das Asylrecht nicht konzipiert worden.

In den letzten Jahrzehnten kamen viele Menschen, auch aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote, auf der Suche nach einem besseren Leben auf gefährlichen Wegen nach Europa, weil sie hofften, hier als politisch Verfolgte anerkannt zu werden. De facto konnten diejenigen, die es (oft unter Einsatz ihres Lebens) über die EU-Grenzen geschafft hatten, damit rechnen, hier auch bleiben zu dürfen. In der Vergangenheit zogen sich nämlich die Asylverfahren von bereits in die EU bzw. nach Deutschland eingereisten Bewerbern zeitlich über Jahre hin - in diesen Jahren gingen ihre Kinder hier in die Schule und integrierten sich. Und dann kam der ablehnende Asylbescheid, eben weil es sich um Personen aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote handelte. Und somit wurden diese Menschen ausreisepflichtig. Menschen nach Jahren des Aufenthalts hier bei uns abzuschieben, ist sehr hart. Der europäische Asylkompromiss kann dazu führen, dass diese ganze Spirale in Zukunft bei Menschen aus sicheren Herkunftsländern gar nicht erst in Gang gesetzt wird.

Wir müssen die massenhafte Zweckentfremdung des Asylrechts beenden. Gleichzeitig aber sollte gelten: Wer bereits hier im Land bzw. in der EU ist, der sollte von uns unterstützt werden (Mentorenprogramme, Sprachkurse, Arbeitserlaubnis). Abschiebungen sollte es nur noch bei Straftätern geben, nicht bei gut integrierten Asylbewerbern.


Außerhalb des "Asylrechts für politisch Verfolgte" sind "Resettlements" aus humanitären Gründen möglich

Sobald der EU-Asylkompromiss umgesetzt ist und die europäischen Asylzentren in Betrieb sind, wird der Teil der Einwanderung, der derzeit noch über das Asylprüfungsrecht läuft, stark abnehmen. Es ist wichtig zu verstehen, dass weder die humanitäre Migration über Resettlements noch die von der EU selbst gewünschte Einwanderung von Facharbeitern daran gekoppelt sind. Rechtlich handelt es sich um ganz andere Wege der Migration. Resettlements führen dazu, dass die EU geplant und gesteuert die Hilfsbedürftigsten der Welt aus humanitären Gründen nach Europa bringt und sie hier schützt.

Arbeitskräfteanwerbung von Facharbeitern bzw. Hochqualifizierten ("Blue Card") wiederum ist etwas, das die EU zu ihrem eigenen Nutzen in der Zukunft braucht. Hier sollte die EU die den Weg der Blue Card für nichtakademische Fachkräfte weiter öffnen und einen europäischen Talentpool nach kanadischem Vorbild einführen.


Wenn wir weiter von offenen Grenzen innerhalb Europas profitieren wollen, brauchen wir Kontrollen an den EU-Außengrenzen. Wenn das Asylprüfungsrecht nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis neu geregelt ist, dann kann besser als jetzt über die anderen Wege der Migration gesprochen werden. Europa kann dann auf konkrete Krisen schnell und human reagieren. Beispiel: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat - außerhalb des Asylrechts - zu den größten Migrationsströmen innerhalb Europas in den letzten Jahrzehnten geführt. Denn als Reaktion auf den Krieg hat die EU zum ersten Mal die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert (im März 2022) Aufgrundessen müssen Ukrainer in der EU keinen herkömmlichen Asylantrag stellen, sondern gelten automatisch als Schutzsuchende, genießen sozialen Schutz und erhalten das Recht auf Arbeit. Derzeit profitieren über vier Millionen Ukrainer:innen von der Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie. (Über die Hälfte lebt dabei aktuell in Deutschland und Polen.) Der EU mangelnde Humanität im Umgang mit Schutzsuchenden vorzuwerfen, ist absurd.


Kein System ist ohne Nachteile

Das rechtlich komplexe Asyl-System ist eine politisch in Deutschland höchst umstrittene Angelegenheit. Mit Max Weber gesprochen: Hier stehen sich Verantwortungsethik und Gesinnungsethik unveröhnlich gegenüber. Ich gebe zu, dass es für beide Standpunkte aus der jeweiligen Sicht gute Argumente gibt (und bestimmt Schulaufsätze, die die Note 1 verdienen). Ich habe mich für die Verantwortungsethik entschieden, nicht die Gesinnungsethik.

Diese EU-weite Reform bei den Asylverfahren (ohne Abschaffung des Asylrechtes) kann dazu führen, dass weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil weniger aufbrechen. Das tägliche, unerträgliche Sterben einfach so weiterlaufen zu lassen, war keine Option.

Das neue System mag seine eigenen Schwächen haben, aber es ist besser als der status quo. Und die FDP hat konstruktiv daran mitgewirkt, dass dieser europäische Asylkompromiss geschlossen werden konnte.



 

[1] https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-migration-policy/eu-migration-asylum-reform-pact/asylum-procedure/. Vorausgegangen war der Vorschlag der Kommission für einen "Neuen Pakt zu Migration und Asyl" aus dem Jahr 2020 für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS).


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