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Finanz- und Schuldenpolitik

15. Dezember 2023

Finanz- und Schuldenpolitik

Seit meinem letzten Blogpost hat sich viel getan… Bei der nächsten Europawahl am 9. Juni 2024 werde als Kandidat des Landkreises Esslingen für die FDP antreten! Die Kreis-FDP stellt mir sogar ein Wahlkampf-Budget im niedrigen vierstelligen Bereich zur Verfügung. Nun soll ich Plakate entwerfen und drucken lassen, mir einen Slogan überlegen und eine neue FDP-Kandidaten-Webseite kreieren. Und ich soll meine Kernforderungen vorlegen, mit denen in den Wahlkampf (Anmerkung: „Kampf“ klingt ganz schön martialisch) ziehen soll. Das finde ich ein wenig schwierig. Die Partei legt ihr Europawahlprogramm erst Ende Januar 2024 in Berlin auf einem Parteitag fest (wo ich hinfahren werde). Aber gut, ich kenne ja das EU-Wahlprogramm von 2019 und sowieso ungefähr die FDP-Programmatik. Das dürfte ausreichen, um mir Themen und Thesen für meine eigenen Wahlkampf für die EU-Wahl 2024 zu überlegen.

Ich finde es doof, wenn Parteien die Auseinandersetzung über Themen führen wollen, die gar keine europapolitischen Themen sind und mit denen das EU-Parlament nichts zu tun hat. Ich nehme mir also vor, das anders zu machen.

Ein Thema, bei dem die EU viel zu sagen hat, ist die finanzielle Nachhaltigkeit bzw. Generationengerechtigkeit. Der EU-Stabilitätspakt hat Auswirkungen darauf, wie viele Schulden in der EU bzw. in ihren Mitgliedsstaaten gemacht werden dürfen. Ohne diese Schuldenregeln gäbe es keinen stabilen Euro.


Warum Staatsverschuldung unfair sein kann

Grundsätzlich misst sich der Erfolg einer politischen Partei immer an ihrer Wiederwahl. Eine Partei, die die nächste Wahl gewinnen will, hat einen Anreiz, Wahlgeschenke (z.B. Steuererleichterungen oder Sozialausgaben) über Schulden zu finanzieren, anstatt heute Ausgaben zu drosseln oder Steuern zu erhöhen. Aber durch die resultierende Staatsverschuldung werden ‚Nebenwirkungen‘ der Wahlgeschenke, nämlich die Zinslasten, an die nachrückenden Generationen weitergereicht. Deswegen waren die Schuldenbremsen, die sich Deutschland und zahlreiche andere europäische Staaten nach der Finanzkrise 2009 in die Verfassungen geschrieben haben, eine große Errungenschaft. Im Bundesstaat Deutschland haben die 16 deutschen Bundesländer damals eigene Schuldenbremsen bekommen.

In der Finanzpolitik geht es immer um zwei Aspekte von Generationengerechtigkeit:

-          Es darf keine zu große explizite und implizite Staatsverschuldung an kommende Generationen hinterlassen werden

-          Es müssen ausreichend Investitionen getätigt werden

Beide Aspekte sind aber kein Widerspruch, sondern lassen sich durch die Formel „Schuldenbremse plus Investitionsgebot“ parallel verwirklichen.


Was aber heißt „Schuldenbremse plus Investitionsgebot“? Zur Erklärung vergegenwärtigen wir uns das politische Mehrebenensystem (Baden-Württemberg, BRD, EU). Als Bürger von Baden-Württemberg lebe ich in einem Gemeinwesen, das einen Verschuldungsgrad (Schulden in % des BIP) von rund 11 % hat. Als Bürger von Deutschland lebe ich in einem Gemeinwesen, das einen Verschuldungsgrad von rund 66 % hat. Als Bürger der EU lebe ich in einem Gemeinwesen, das einen Verschuldungsgrad von 0 % hat. „Schuldenbremse plus Investitionsgebot“ heißt nun, dass in Normalzeiten jedes dieser drei staatlichen Gebilde einen ausgeglichenen Haushalt bei gleichzeitig hoher Investitionsquote hat.





EU: Der EU-Haushalt beruht auf dem Grundsatz, dass sich Ausgaben und Einnahmen die Waage halten müssen.[1] Das Prinzip des ausgeglichenen Haushalts gilt (nach einer vorübergehenden Abschwächung während der Corona-Krise) inzwischen wieder uneingeschränkt. Das muss unbedingt auch so bleiben. Mit der FDP wird es keinen Einstieg in eine Schuldenunion und keinen Einstieg in Eurobonds geben. Die EU muss in der kommenden Legislaturperiode wie vereinbart mit der Tilgung der für den Corona-Solidaritätsfonds aufgenommenen Kredite beginnen. In der Geschichte der EU gab es nie, von der Ausnahme der Corona-Krise abgesehen, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme. Auch zukünftig kann und sollte die EU darauf verzichten. Zu den Einnahmequellen der EU gehören: Beitragszahlungen der Mitgliedsländer; Einfuhrzölle auf Erzeugnisse aus Drittländern; eine neue Abgabe auf nicht recycelbare Plastikverpackungen; Geldbußen für Unternehmen. Die EU-Länder vereinbaren die Höhe des EU-Haushalts und die Modalitäten seiner Finanzierung mehrere Jahre im Voraus. Somit besteht keine Notwendigkeit der Kreditaufnahme. Wir finden wir also bei diesem quasi-staatlichen Gebilde tatsächlich den Idealzustand eines Balanced Budgets – gleichzeitig fließt der EU-Haushalt hauptsächlich in Investitionen.[2]


Deutschland (und andere EU-Mitgliedsländer): Der Stabilitäts- und Wachstumspakt regelt die Staatsverschuldung der Euro-Länder, denn eine solide Finanzpolitik aller Teile des Euro-Raums (sprich der betreffenden Mitgliedsstatten) ist die entscheidende Legitimationsgrundlage der Währungsunion. Der Pakt ist seit der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags 1992 mehrfach verändert worden, aber zwei Eckpunkte gelten bis heute unverändert: Die Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsstaaten darf 60 % des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, und das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als 3 % betragen. Von den Ländern, die diese Kriterien nicht erfüllen, wird eine Schuldenrückführung erwartet, damit sie die Vorgaben wieder einhalten. Deutschland sich hat nach der Finanzkrise 2009 eine Schuldenbremse in ihre Verfassungen geschrieben, auch auf Länderebene.[3] Die deutschen und die europäischen Fiskalregeln ergänzen sich.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts [4] vom 15.11.2023 wird über die Schuldenbremse diskutiert. Ist sie eine Investitionsbremse, die den nötigen Strukturwandel oder sogar den Klimaschutz aufhält? Sicher nicht. Allein durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen könnte der Staat so viel Geld neu einnehmen, dass Klimaschutzinvestitionen finanzierbar würden.[5]. Andere Staaten in der EU schaffen das ja auch - aufgrund von Reformen. Deutschland ist keineswegs Spitzenreiter beim Schuldenabbau (siehe Abbildung unten).

Am Grundgesetzartikel 115, also der Schuldenbremse, sollte kein Buchstabe geändert werden. Die aktuelle Regelung im Grundgesetz ist weitaus besser als die vorherige Regelung, die zwischen 1969 und 2009 Gültigkeit hatte.[6] Aber zusätzlich dazu sollte der Staat eine möglichst hohe Investitionsquote anstreben. Keine Generation darf mehr Kapital (aller Art) verzehren, als sie neu aufbaut. Es ist eine beständige Gefahr, dass Zukunftsinvestitionen zu kurz kommen, weil Gegenwartsausgaben den Vorrang erhalten. Wünschenswert ist ein ausgeglichener Staatshaushalt bei gleichzeitig hoher Investitionsquote. Denn Investitionen werden nötig sein, um bis 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen und der Industrie bei der Umstellung auf grüne Produktion zu helfen.



Die Bundesländer innerhalb von Deutschland: Auch in den Landesverfassungen müssen die Schuldenbremse eingehalten werden. Dabei werden die Zahlungen an pensionierte Beamte zum immer größeren Problem für die Finanzen der Länder, die den Großteil der Beamtenschaft zu finanzieren haben. Die Babyboomer-Generation besteht nicht nur als Beitragszahlenden, son­dern auch aus ak­tiven Beamten, also entsteht hier durch den Ruhestandseintritt dieser großen Kohorten eine schwer zu tragende Demografielast. Das sind konsumtive Ausgaben, keine Investitionen, insofern sollte nach dem Prinzip der periodengerechten Zuordnung (bzw. Generationengerechtigkeit) wirklich jede Generation ‚ihre‘ Beamten selbst finanzieren: zahlenmäßig große Generationen einen großen Beamtenapparat, zahlenmäßig kleinere Generationen einen kleineren Beamtenapparat. Unfair wird es, wenn eine große Generation die Kosten für die Beamten, die sie einstellt, einfach in die Zukunft verschiebt. Die Belas­tungen der nachrückenden Generationen durch die Versorgungszusagen der Länder sind derzeit in den Medien leider kaum ein Thema. Durch die Schuldenbremsen der Länder bleibt ein Reformdruck entstehen. Das ist gut so, denn Reformen sind dringend nötig.


Interesse an noch mehr Infos? Hier mal reinhören:


WDR 5 Politikum

12.12.2023



 


[1] https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/budget/revenue_de; https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2020/08/Inhalte/Kapitel-2b-Schlaglicht/2b-wiederaufbaupaket-und-mfr-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=1

[2] https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/budget/spending_de

[3] Journal für Generationengerechtigkeit 2-2013: Die Schuldenbremse in Deutschland – Evaluationen im nationalen und internationalen Kontext. https://generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2014/06/JfGG_2-2013.pdf

[4] BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 15. November 2023 - 2 BvF 1/22 -, Rn. 1-231. https://www.bverfg.de/e/fs20231115_2bvf000122.html

[5] Eine gute Übersicht über klimaschädliche Subventionen findet sich hier: https://www.wolfgang-gruendinger.de/post/fossile-und-klimasch%C3%A4dliche-subventionen-was-das-ist-und-was-wir-%C3%A4ndern-sollten

[6] Kompendium zur Schuldenregel des Bundes (2022): https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Schuldenbremse/kompendium-zur-schuldenbremse-des-bundes.pdf?__blob=publicationFile&v=9



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